Vor den 2010er Jahren gab es keine starken Frauenfiguren im Actionkino – zumindest wenn es nach der beliebten Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence geht, die sich als die erste Action-Heldin der Filmgeschichte bezeichnete. Das war es also mit Ellen Ripley, die ikonisch dargestellt von Sigourney Weaver, in den Alien-Filmen sich taff gegen eine außerirdische Macht behauptete. Angelina Jolie als Lara Croft ist auch kein Thema mehr. Und den Asia-Action-Star Michelle Yeoh vergessen wir ebenso (außerhalb der selbstbezogenen Glitzerwelt Hollywoods gibt es ja bekanntermaßen ohnehin keine Filmindustrie). Diesbezüglich sollte Lawrence´s Aussage eher so formuliert werden: Sie ist die erste Actionheldin im postmodernen woken Zeitalter, in dem starke Frauen nach bestimmten vermeintlich progressiven Kriterien gestaltet werden müssen. Wobei hier zu sagen ist, dass Lawrence noch Rollen annimmt, in denen sie tatsächlich Frauen spielt, die als echte Charaktere fungieren und menschlich agieren.
Daneben macht sich aber seit geraumer Zeit noch ein weiterer Typus ausfindig: die vollkommene und stets unfehlbare Protagonistin, die über allem schwebt. Sie kann alles, sie macht alles und neben ihr ist jeder andere dumm (vor allem die männlichen Figuren). Im Serienbereich trat dieser Typ zuletzt gehäuft auf – bekanntestes Beispiel dürfte die Darstellung der Elbenprinzessin Galadriel in der Amazon Serie „Ringe der Macht“ sein, die gelinde sagt, auf das Erbe Tolkiens spuckt (wie auch die gesamte Serie).
Was bedeutet „Save the cat“?
Ich habe diesen Beitrag „Rettet die Katze“ genannt. Warum? Der Begriff „save the cat“ geht auf den US-Drehbuchautoren Blake Snyder zurück. Damit beschrieb er einen Moment in der Charakterdarstellung einer Figur, der diese fassbar macht und Empathie im Zuschauer erweckt. Ziel ist es, dass der Betrachter sich mit einem Charakter identifizieren kann. Dabei muss es nicht einmal eine moralisch einwandfreie Person sein. „Breaking Bad“ führte eindrucksvoll vor, wie man einen in die Kriminalität abdriftenden Chemielehrer fassbar macht und den Zuschauer mit der Figur mitfiebern lässt.
Was das anhand eines konkreten Beispiels bedeutet?
Bei besagten Frauenfiguren, die ich in diesem Beitrag behandle, fehlt dieser Moment. Nehmen wir das Beispiel Galadriel her. Sie sinnt von Anfang an auf Rache, führt ihren Trupp unerbittlich an, verheizt zahlreiche Elben in ihrem Feldzug und zeigt nicht einmal etwas Mitgefühl mit ihren Mitstreitern, auch wenn sie der Erschöpfung nahe sind. Der Zuschauer nimmt die Elbenprinzessin nur als Kriegerin im Anfall wahnhafter Tobsucht war, ohne dass weitere Charakterelemente irgendwie zum Tragen kommen. Hier verpassen die Autoren bereits die Möglichkeit für einen „Save the cat“-Moment. Im weiteren Serienverlauf wird die Protagonistin stets als unfehlbar dargestellt. Sie bringt sich immer wieder in haarsträubende Situationen, die sie nur überlebt, weil die Autoren das nun so entschieden haben. Sie ist die allen überlegene Kriegerin, die sämtliche Fertigkeiten schon mitbringt, die sie braucht und daher keine weitere Entwicklung durchmachen muss. Wenn Galadriel zur Übung schreitet, um einen Trupp eher unerfahrener Menschenkrieger zu trainieren, dann kann das natürlich nur in der Form stattfinden, dass sie problemlos und ohne Mühe alle fertigmacht. Die Konsequenz aus dieser Übungsszene: Es findet keine Entwicklung statt. Galadriel selbst lehrt nichts, sie demonstriert nur ihre Überlegenheit und sie nimmt im Gegenzug keine Lehre mit. Der Kampf wird zum Selbstzweck ohne dass er irgendetwas in den beteiligten Personen auslöst. Auch hier lässt sich eine erneute verstrichene Gelegenheit für einen „Save the cat“-Moment erkennen. Es wird im weiteren Verlauf auch nicht besser. Galadriel ist und bleibt diejenige, die alles kann, was regelmäßig noch dadurch verdeutlicht wird, dass sich alle um ihr herum möglichst unbeholfen anstellen – vor allem natürlich die Männer.
Falsch verstandene Stärke
In dem beschriebenen Fall gehen die Autoren von der Fehlannahme aus, dass eine Frau dann stark wäre, wenn sie möglichst unantastbar ist, keine Fehler zeigt und sich bei jeder Gelegenheit profilieren kann. Aber Hand aufs Herz: Wer fiebert wirklich mit solch einem Übercharakter mit? Es fehlt bei solchen Charakter-Schablonen schlicht an Tiefe. An Schwächen, die Konflikte erst auslösen und deren Überwindung die Figuren in ihrer Entwicklung formen und zu greifbaren Charakteren machen. Solche Darstellungen wandeln konstant an der Grenze zur Karikatur oder zur reißbrettartigen Skizze, aber sie sind nicht geeignet, echte Empathie beim Zuschauer zu wecken. Lehnt das Publikum solche Darstellung ab, dann hat dies nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun. Ähnlicher Fall liegt bei der Serie „Willow“ vor, in der man es beim Schreiben des Charakters Kit ebenfalls versäumt hat, ihr einen „Save the cat“-Moment zu verpassen. Stattdessen zeichnet sie sich durch ein Übermaß an Arroganz aus und dem Streben danach, bei jeder Gelegenheit den Querulanten zu spielen, wobei es sonst wenig Ansatzpunkte für Sympathie gibt (was so weit geht, dass der Tod ihr nahestehender Menschen sie kaum tangiert).

Wie man das besser machen kann, zeigt aktuell die Serie „House of the dragon“. Auch wenn hier ebenfalls nicht alles frei von Writing-Schwächen ist, so wird die Protagonistin Namira doch ganz anders aufgezogen. Sie wird als eigenwillig beschrieben und es wird immer wieder gezeigt, wie sie versucht, den Fesseln zu trotzen, die ihre Position ihr auferlegt. Dennoch ist sie auch für ihre Freundin da, mit der es allerdings zum Konflikt kommt, als sie zur Frau des Königs (Namiras Vater) wird. In diesem Konflikt fügt sie sich teilweise ihrer Rolle im Machtkampf um die Thronfolge, ohne jedoch ihre Persönlichkeit aufzugeben. Die perfekte Ausgangssituation, um tiefgehende innere und äußere Konflikte aufzuziehen und vielschichtige Charaktere zu entwickeln.
Ein modernes Beispiel starker Frauenfiguren wäre außerdem im Breaking Bad Spinoff zu finden: Better Call Saul. Der Charakter Kim Wexler ist zielstrebig, intelligent und setzt sich in einer von Männern dominierten Anwaltswelt durch. Sie darf sich aber dabei auch Fehler erlauben und gerade in der Beziehung zu ihrem Freund Jimmy McGill bzw. Saul Goodman einen schwerwiegenden Konflikt ausfechten.
Gehen wir zurück zu Galadriel: Die weise Elbenprinzessin ist auch in Tolkiens literarischer Vorlage durchaus eine starke Frauenfigur. Doch sie ist nicht diese Neuauflage von Xena die Kriegerprinzessin, die uns die Serie serviert. Doch zugunsten der Sensation muss man dem Zuschauer in Zeiten von Tik Tok und Marvel eine starke Frau nun mit dem Holzhammer servieren, was eben dann nur über seelenlose Kampfszenen praktiziert wird, die viel Schauwerte bieten, aber nichts zu charakterlichen Prozessen beitragen. Kleiner Exkurs: Ruhig nochmal die „Herr der Ringe“-Filmtrilogie anschauen und beobachten, wie dort die Kämpfe inszeniert sind. Ob es um den Wettbewerb zwischen Legolas und Gimli geht oder wenn in der finalen Schlacht am schwarzen Tor die Verzweiflung in Nahaufnahmen der Gesichter eingefangen wird – bei solch einer Inszenierung geht es auch immer darum, auch während des Schlachtgetümmels etwas über die Figuren zu erzählen. Etwas, das „Ringe der Macht“ nahezu vollständig abgeht. Galadriel kämpft einfach und sie kämpft und kämpft und bleibt charakterlich auf der Stelle stehen.
Disneys Auto-Revisionismus
Kaum ein anderer Konzern, hat die besagte Entwicklung so befeuert wie der Disney Konzern, seit Jahren seine alten Klassiker in Form von Realfilm-Remakes neu aufwärmt angereichert mit einer guten Portion vermeintlicher Progressivität und viel Diversität. So steht bald der Kinostart des „Arielle“-Remakes an. Die Debatte um die Hautfarbe der neuen Meerjungfrauen-Prinzessin beiseitelassend ist mir an dieser Stelle eine Aussage von Hauptdarstellerin Halle Bailey wichtiger. Diese meinte nämlich, dass sie Arielle ihre Stärke zurückgeben möchte. Die Frage ist: Was meint sie damit? War jetzt Arielle im Zeichentrick-Klassiker keine starke Frau, die eigensinnig war, sich nach Freiheit sehnte und diesen Weg gegen alle Widrigkeiten gegangen ist? War sie keine Person, die bereit war, neue Welten zu entdecken und aus ihrem königlichen Gefängnis auszubrechen?

Nun: Die nächste Änderung ist auch hier bereits angekündigt. So soll es in der Neuverfilmung nicht mehr darum gehen, dass Arielle alles wegen dem Prinzen aufgibt, sondern sich nach Freiheit sehnt – weil die Meerjungfrau von der Oberwelt eingenommen ist. Das entstellt die Gegebenheit im Originalfilm etwas: Denn dort ist Arielle grundsätzlich ebenfalls von der Welt über der Meeresoberfläche gebannt sowie von Freiheitssehnsüchten erfüllt. Der Prinz war hier nur ein Element. Warum man jetzt auch hier auf die Idee kommt, dass die Darstellung von damals nicht modern wäre, ruft bei mir ein paar Fragezeichen auf. Warum darf die Liebe hier nun keinen zu großen Faktor mehr spielen? Warum sollte der Freiheitsgedanke der Hauptfigur dadurch unterminiert werden? Aber das fügt sich nahtlos in das Schema Jennifer Lawrence ein, bestehende Verhältnisse zu ignorieren und sich als Pionier aufzuspielen, weil Stärke nach einem festgeschriebenen Kriterienkatalog aus der Produktionsschmiede lieblos arbeitender Diversitätskonstrukteure definiert wird, welches liebgewonnene Figuren völlig entstellen.
Um es mit Tolkiens Worten zu sagen: Das Böse kann nicht erschaffen, es kann nur zerstören.
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