Nur ein weiterer Toter
Vincent mochte ihr Lächeln, ihren verlogenen Blick der Zuneigung. Er mochte die Hingabe, mit der sie ihre Erregung vorgauckelte, um ihn in einen Zustand lustvoller Ekstase zu versetzen. Und er genoss es, wenn sie ihm gekünstelt „oh ja, ja, gib´s mir“ ins Ohr flüsterte, während ihr schlanker, olivfarbener Körper scheinbar von unkontrollierter Leidenschaft zuckte. Wie sie sich mit geschlossenen Augen auf die zittrigen Lippen biss, um ihren Lustschrei zurück zu halten, der schließlich umso gewaltiger hervorkam in dem Moment, in dem er grunzend seinen Höhepunkt ankündigte – es war eine Wonne.
Klar, alles war nur ein Schauspiel, das allein dazu diente, seinem Ego zu schmeicheln. Aber verdammt, sie war so unvergleichlich gut darin, dass er sich gerne belügen ließ. An Einsatz mangelte es ihr wahrlich nicht.
Die Art und Weise, wie sie mit ihrem Mund Vincents hartes Fleisch verwöhnte, seine Nervenenden zum Rotieren bracht, entlockte ihm jedes Mal aufs Neue ein Stöhnen süßlicher Qual. Einmal langsamer, dann schneller, zärtlich und fest, bis sein Verlangen ans Maximum gelangte – dann eine Pause. Der Wunsch nach Linderung dieser Pein war endlos.
Auch an jenem Abend marterte sie ihn einmal mehr und führte ihn drei Mal bis an die Grenzen seines Durchhaltevermögens. Doch sie wusste genau, wann sie unterbrechen musste.
Schließlich ließ sie von ihm ab und räkelte sich im scharlachroten Schein lasziv auf dem Leopard-Bettbezug. Dabei fuhr sie mit ihrer rechten Hand sachte ihren Schenkel entlang zwischen ihre Beine, wo sie Zeige- und Mittelfinger kreisen lies.
„Na, komm schon Süßer. Fick mich.“ Der Klang ihrer Stimme war so unschuldig und jung.
Vincent beugte sich über dieses anbetungswürdige Geschöpf, das ihn so in ihren Bann gezogen hatte und versank in ihren smaragdgrünen Augen.
„Worauf wartest du?“, fragte sie verführerisch und fuhr ihm zärtlich über die Wange. „Ich will dich.“
„Ja“, keuchte der schlaksige Mann mit dem ungeschlachten Gesicht und den dichten Koteletten. Sein Atem war schwer.
Betört von ihrem Jasminduft koste er die zarte Engelshaut mit dem Mund, saugte begierig an ihren Brustwarzen und drang endlich in ihr ein. Manchmal ließ Vincent sich Zeit, ein anderes Mal machte er schneller. Heute dauerte der Verkehr nicht sonderlich lang. Nach ein paar Stößen konnte Vincent sich bereits nicht mehr zurückhalten. Die junge Frau spornte ihn mit langgezogenen Lustseufzern an und schrie immer wieder „oh ja, ja.“. Schließlich entlud er sich in ihr und das orgastische Orchester fand sein Ende.
Erleichtert ließ sich der dürre Mann zur Seite fallen und atmete voller Zufriedenheit auf.
„Das war´s schon?“, fragte die Frau mit dem fantastischen Körper. „Bist du immer so schnell?“
„Für heute bin ich fertig. Manchmal geht´s halt etwas schneller. Aber du warst einmal mehr großartig.“
„Oh, du warst schon hier?“ Da war es im entglitten. Vincent hatte sich zu sehr gehen lassen und so vergas er in seinem Wohlgefühl, dass diese Frau, ihr Name war Keira, ihn ja noch gar nicht gesehen hatte. Das heißt, gesehen hatte sie ihn schon paar Mal, kam er seit Kurzem jedes Wochenende zu ihr und jedes Mal erblickte sie ihn zum ersten Mal. Dass er ihr jedes Mals aufs Neue fremd war, lag nicht unbedingt daran, dass er eine so belanglose Gestalt war – ganz im Gegenteil. Vielmehr lag es daran, dass Vincent Löwenstein alles andere ein gewöhnlicher Mann war und über eine besondere Gabe verfügte – und zwar über die, vergessen zu werden und nur einem Menschen in Erinnerung zu bleiben, wenn es ihm beliebte. Letzteres war so gut wie bei niemandem der Fall. Und in dem, was er beruflich machte, war es von unschätzbarem Vorteil, wenn sich niemand an ihn erinnerte oder wusste, dass es ihn gab.
„Nein“, sprach er beiläufig und starrte an die Decke. „Unglücklich ausgedrückt. Ich war noch nicht bei dir. Aber du warst richtig gut. Gerne komm ich wieder.“
Keira grinste ihn lasziv an. „Ich warte auf dich.“
„So wie ich es sehe, habe ich aber noch Zeit übrig“, sprach Vincent, „hättest du etwas dagegen, noch etwas bei mir zu liegen, zumindest eine viertel Stunde?“
„Du willst noch kuscheln?“
„Gerne und lass uns noch etwas reden, wenn es dir nichts ausmacht.“
Keira streichelt ihm sanft über die Brust, während sie sich an ihm heranschmiegte. „Über was willst du denn reden?“, fragte sie.
„Keine Ahnung. Über irgendwas. Fällt dir was ein?“
„Willst du mir etwas über dich erzählen? Wie heißt du denn?“
„Vincent, mein Name ist Vincent.“
„So Vincent und was machst du beruflich?“
„Ich…“ Vincent zögerte. Er dachte an den heutigen Abend zurück und an seinen Job, den er einmal mehr ordentlich erledigt hatte. Eine wahre Befriedigung. Ein weiterer Schuss aus seinem Colt. Ein weiteres ausgelöschtes Leben. Eine weitere Menge Geld, die ihn erwartete. Und das Wissen darum, das er einfach unschlagbar war in seinem Metier – auch wenn er natürlich eingestehen musste, dass alles anders wäre, hätte er nicht diese gewisse Hilfe, die eine besondere Gabe, die er aus dem größten Geschäft seines Lebens erwarb, ein Geschäft, das sein Leben nicht unbedingt groß veränderte, das aber ihm aber durchaus nützlich war.
„Ich bin ein Auftragskiller“, antworte Vincent beiläufig.
„Du bist was?“, entgegnete Keira ungläubig.
„Ich bin ein Auftragskiller. Ich töte Menschen für Geld. Ich bin freiberuflich unterwegs. Jeder kann mich engagieren, wenn er genug Geld hat. Wer mich bezahlt, der kann mir ein beliebiges Ziel nennen und ich töte es. Egal, um wen es sich handelt. Ich habe heute jemanden getötet. Kurz bevor ich zu dir kam. Ein gezielter Schuss in seinen Kopf. Und jetzt bin ich hier, um zu entspannen.“
Die Frau war sprachlos und blickte ihn entgeistert an. Nach einem kurzen Moment zogen sich ihre Mundwinkel nach oben und sie fing an zu lachen. „Du bist ein Spaßvogel. Jetzt sag schon. Was bist du von Beruf?“
Vincent lächelte zurück. „Du hast mich erwischt. Ich kam mir jetzt nur so verrucht vor, wenn ich so etwas sage. Ich bin Banker, ganz einfach ein Banker. Nicht sonderlich spannend, aber es bringt Geld rein.“
„Es ist doch ein schöner Beruf oder?“
„Wie man´s nimmt.“ Er konnte sich nichts Langweiligeres vorstellen als diese Art Allerweltsjob und er bemitleidete diejenigen, die tagein, tagaus ihre Leben so fristeten.
Sicher: Vincent Löwenstein führte einen Beruf aus, der sich keinerlei Achtung rühmen konnte, der beim allergrößten Teil der Menschen nicht nur für moralische Entrüstung sorgte, sondern sich auch jenseits jeglicher Rechtsstaatlichkeit befand. Und wo der Familienvater aus der biederen Nachbarschaft von der Bank, der Versicherung oder der Werbeagentur nach Hause kam und seinen Liebsten die immer gleichen Geschichten aus einem Alltag erzählte, der an Monotonie nicht zu überbieten war, so erlebte er bei seiner Tätigkeit immer wieder den neuen Nervenkitzel, ein Leben zu nehmen. Und nicht jedes Leben war gleich. Vincent interessierte sich durchaus für die Charaktere derer, die er ins Jenseits beförderte. Sofern es möglich war, nahm er vorhergehend noch Kontakt mit ihnen auf, kam mit ihnen ins Gespräch und versuchte etwas über ihre Neigungen und Lebensstile herauszufinden. Das gelang manchmal mehr, manchmal weniger. An jenem Abend hatte er den Leiter einer Vernissage ermordet. Ein korpulenter, klobiger Mann, äußerlich genauso abstoßend wie im Inneren. Mit ihm hatte sich Vincent vor seiner Tat auf einer Ausstellung unterhalten, auf der das öffentlichkeitswirksame Debüt eines Jungkünstlers präsentiert wurde. Es war ein unangenehmer Zeitgenosse. Jedes Mal, wenn er etwas sagte, rotzte er seine Worte auf eine so derbe Weise hervor, dass es ein Grauen für die Ohren war. Sein von Altherrenwitzen geprägter Humor war von fragwürdiger Natur und dann waren ja noch die Gerüchte, dass sich regelmäßig an Minderjährige ranmachte. Diese Umstände hatten jedoch nichts mit dem Auftrag zu tun. Es handelte sich eher um einen Konkurrenzkampf – einmal mehr ging es schlicht ums Geld. Aber aus welchen Motiven seine Auftraggeber die Zielperson aus dem Weg geräumt haben wollten, interessierte ihn nicht. Spannend waren die Todgeweihten, nicht diejenigen, die das Urteil sprachen und ihn als Henker beorderten.
Unter dem Vorwand, ein Werk des Newcomers zu erwerben, konnte sich Vincent Zugang zum Arbeitszimmer des Händlers verschaffen, wo sie ungestört waren. Ein schneller Griff zum Holster unter seinem Sakko, ein rascher Fingerzug und Vincent vollendet sein Werk. Sein Opfer konnte noch nicht mal mehr schreien, bevor ein scharfes Zischen durch die Luft peitschte und die Metallkugel sein Schädel durchschlug. Mit aufgerissenen Augen, in denen sich das blanke Entsetzen spiegelte, sank der Mann in seinem Sessel ein. Vincent fragte sich immer, was in den Momenten der letzten Atemzüge in einem Menschen vorging. Sicher, sie alle bettelten um Gnade, wenn sie denn die Gelegenheit dazu hatten. Manche flehten zu ihrem Gott, welcher das auch immer sein sollte. Und manch einer nahm sein unvermeidliches Schicksal hin. Das waren die Reaktionen, die vordergründig von außen wahrgenommen werden konnten. Doch was geschah innerlich? Welche sind die letzten Gedanken, die automatisch in den Sinn kamen? Zog tatsächlich das Leben wie im Zeitraffer an einem vorbei, wie es viele noch immer glauben? Waren diese Menschen tatsächlich von Angst vor dem Tot ergriffen? Bereuten sie, wie sie ihr Leben geführt haben? Wie gerne würde er sich mit einem derer unterhalten, die er getötet hatte. Nicht vor dem Mord, wenn die Panik womöglich alle anderen Emotionen und Gedanken erstickte, sondern danach. Einfach, um zu wissen, was die letzten Empfindungen im Leben waren. Leider war dies nicht möglich.
Nach seiner Tat sperrte er die Zimmertür von innen zu, um Zeit zu gewinnen. Danach verschwand er durch ein Fenster aus dem Ausstellungsgebäude und war nicht mehr gesehen und wieder einmal erinnerte sich schon bald darauf niemand an ihn. Nicht daran, dass er mit Herrn Brockmann, so der Name des Vernissage-Leiters, zuletzt gesprochen hatte. Nicht daran, dass sie alleine in seinem Arbeitszimmer waren. Sie würden nur noch wissen, dass er mit jemandem gesprochen hatte, doch das Gesicht dieses Jemands war verblasst und würde ein Mysterium bleiben.
Ja, es war nicht schön, was er tat. Aber Vincent war davon überzeugt, dass es Menschen wie ihn brauchte. Würden sich alle an bestehende Regeln halten und so benehmen, wie es die Moral verlangte, so wäre die Welt ein langweiliger und intellektuell eingeschränkter Ort. Ein Platz, an dem keiner weiterdenken würde wie an die Grenzen seiner heilen Welt. Es brauchte Verbrecher und Menschen, die schlimme Dinge taten, um diejenigen, die sich den gesellschaftlichen Normen unterordneten einen Anhaltspunkt zu geben, um darüber zu reflektieren, wie weit die Grenzen der Moral verschoben werden können. Und es brauchte schreckliche, von Menschen hervorgerufene Ereignisse, um stets in Erinnerung zu rufen, warum der Mensch eben doch nur eine einfache, zerstörerische Kreatur ist. Und schließlich sind es die finsteren Elemente des Lebens, die den Menschen zur mentalen Leistung und zur Reflexion anspornten. Was wäre dies für eine Welt, in dem nichts Schlechtes geschähe? Die Leute würden wohl in Frieden, aber höchst mittelmäßig leben. Letztendlich war es aber auch so, dass die Bedeutung eines menschlichen Lebens ohnehin überbewertet wurde. Fast 8 Milliarden Exemplare der Gattung Homo Sapiens und es ging immer weiter. Im mehr und in der Masse wurde das Potenzial stetig geringer, der Anteil derjenigen, die wirklich herausstechen konnten, geradezu verschwindend. Die meisten Zugehörigen der Menschenrasse lebten nicht, sie existierten nur und taten nicht mehr, als Platz auf der Erde wegzunehmen. Was machte es da schon aus, wenn er die eine oder andere Existenz von diesem Planeten tilgte? Menschen starben auch ohne sein Zutun. Manche verdienten ein vorzeitiges Ableben, andere verschieden viel zu früh. Sie verbrannten, verhungerten, ertranken, erstickten, wurden überfahren, zerschmettert, von wilden Tieren gefressen, während sie noch lebten und jeden schmerzhaften Biss mitbekamen, brachten sich selbst um auf alle möglichen kreativen Wege. Und sie wurden von anderen Menschen getötet, einmal im Affekt und aus der Emotion heraus, ein anderes Mal mit gezieltem Kalkül. Wie heute der fette Mann in der Galerie. Nur ein weiterer Toter. Ein paar wenige würden um ihn trauern, für den Verlauf der Welt waren sowohl sein Dasein und auch sein Ableben bedeutungslos. Was würde er schon für Spuren hinterlassen? Das galt für die meisten Menschen, die als nicht mehr endeten als ein festliches Bankett für die Maden. Und auch wenn Vincent irgendwann das Zeitliche segnete, würde sich die Welt keinen Deut ändern. Sie alle waren doch nur endliches Fleisch.
Beitragsbild von Comfreak by Pixabay
Hallo Christian, danke für Dein Like.
Weißt Du was mir heute, insbesondere bei dem neuen Text, aufgefallen ist, und nicht böse sein, er ist manchmal, an wenigen Stellen, etwas schmalzig. Liest sich wie aus einem Jugendroman, nicht so erwachsen, oder liege ich da völlig falsch?
Dein Text gefällt mir sehr gut, und die Bezüge zur Gegenwart sind gut eingearbeitet.
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Vielen Dank für dein Feedback. Böse bin ich nicht, gerade in der Schriftstellerei ist doch rege Kritik sehr wichtig. Tatsächlich verstehe ich mein erstes Manuskript „Kein Kind der Einsamkeit“ als Jugendroman, hier sollte es aber eigentlich nicht so sein. Wenn einige Passagen so rüberkommen, dann werde ich auf jeden Fall daran arbeiten. Hättest du eine exakte Stelle, wo dir das so vorkommt als Beispiel?
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Ja, habe ich, z. B. die eingangs beschriebene Liebesszene:
„…….. Und er genoss es, wenn sie ihm gekünstelt „oh ja, ja, gib´s mir“ ins Ohr flüsterte, während ihr schlanker, olivfarbener Körper scheinbar von unkontrollierter Leidenschaft zuckte. Wie sie sich mit geschlossenen Augen auf die zittrigen Lippen biss, um ihren Lustschrei zurückzuhalten, der schließlich umso gewaltiger hervorkam in dem Moment, in dem er grunzend seinen Höhepunkt ankündigte – es war eine Wonne.“
Die Umschreibung tut meiner Libido gar nicht gut. Sie turnt mich nicht an, sondern ab.
„oh ja, ja, gib´s mir“, könnte aus einem Pornofilm stammen. Habe ich in der Realität noch nie gehört und gesagt. Geht an der Realität vorbei. Gefällt mir nicht.
„um ihren Lustschrei zurückzuhalten“, was soll ein Lustschrei sein, und dann der Hinweis auf „einen“ Lustschrei, gibt es nur einen „ultimativen“ Lustschrei. Die Lust, der Spaß, die Freude an der Sexualität, äußert sich nicht, indem man schreit, dass hört sich vor Ort nicht nach schreien an, mehr nach Lauten des „Verzückens und Entzückens“, die laut sein können, aber unter „schreien“, verstehe ich was anderes. Wie Du merkst, ich könnte den Akt auch nicht beschreiben, man muss ihn selbst erleben.
Das Gleiche gilt für Deine Wortwahl „gewaltig und grunzend“, das passt nicht zu einem befriedigenden Liebesspiel. Ist irgendwie billig.
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Vielen Dank für deine Ausführungen. Ich verstehe deinen Einwand, dass es etwas billig und künstlich wirkt. Ich sage aber dazu, dass es nicht meine Intension war, eine romantische Liebesszene mit Gefühl zu beschreiben. Da es sich hierbei um einen Akt im Bordell handelt, habe ich den Charakter Keira bewusst etwas überzogen und gestellt agieren lassen. Vielleicht war ich aber dabei etwas zu plakativ. Ich werde die Passage aber auf jeden Fall nochmal ausführlich durchgehen und schauen, ob ich das etwas dezenter gestalten kann. Auf jeden Fall bedanke ich mich vielmals für dein Feedback, das auf jeden Fall konstruktiv ist.
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