Aus der altbekannten Kategorie „aber sie haben den Kommunismus nur nicht richtig umgesetzt“ dürften die Ereignisse gelten, die sich in den 70ern in Kambodscha abgespielt haben. Von Linken damals in Teilen gefeiert und heute mit wilder Apologetik verdreht, um die Ideologie reinzuwaschen, ist der kambodschanische Völkermord durch die Roten Khmer heute fast nur noch eine historische Randerscheinung. Das ist traurig, handelt es sich hierbei wohl um einen der schlimmsten Genozide der Geschichte. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der damaligen Bevölkerung Kambodschas fielen diesem zum Opfer und das in dem kurzen Zeitraum 1975 bis 1979. Umso wichtiger ist es, dass es aber genug aussagekräftige Literatur dazu gibt. In einer eher kurzen Vorstellung möchte ich heute „Der Reis und das Blut“ ans Herz legen.
Was geschah denn in Kambodscha eigentlich?
Da die politische Situation unter der Regentschaft des damaligen Königs Norodom Sihanouk ziemlich komplex war und Stoff für eine ganze Beitragsserie ergäbe, möchte ich hier eigentlich nicht groß darauf eingehen. Allerdings sehen wir kurz gesagt einmal mehr, was geschehen kann, wenn man sich mit einem früheren Feind gegen einen anderen verbindet. Denn genau das war der Fall, als der Premierminister Lon Nol den König, während dieser auf einer Auslandsreise war, absetzte und sich zum neuen Staatsoberhaupt ausrief. Sihanouk wiederum verbündete sich mit verschiedenen Widerstandsgruppen, einem Bündnis, dem auch die Roten Khmer angehörten, die die Regierung Sihanouk zuvor noch bekämpft hatten. Nach der Einnahme der Hauptstad Phnom Penh durch die Roten Khmer war der König nur noch pro Forma Staatsoberhaupt. Die absolute Macht ging jedoch von der Angka padevat, hinter der sich die Kommunistische Partei Kambudscheas verbargen – also die Roten Khmer unter ihrem militärischen Führer Pol Pot. Dieser kam in Europa mit dem Kommunismus und den Lehren Marx in Berührung und hielt freundschaftliche Beziehungen zur kommunistischen Partei Chinas.
Die Eroberung der kambodschanischen Hauptstadt war die Initialzündung für beispiellose Gräueltaten. Eigentum gab es nicht mehr. Die Stadtbevölkerung wurde auf das Land verschleppt und zum Arbeiten gezwungen. Familien und Bekannte wurden systematisch getrennt. Das Individuum wurde gezielt ausradiert. In Folge dessen spitzten sich die Gewalttaten immer weiter zu. Die Todesstrafe wurde wegen jeder Kleinigkeit verhängt, Minderheiten und Städter wurden vertrieben und ermordet, kamen in den Todeslagern um oder auf den berüchtigten Killing Fields. Dabei war praktisch niemand mehr sicher.

Intellektuelle, Lehrer, Ärzte, Ingenieure, Menschen, die eine Fremdsprache beherrschten – sie und viele weitere Gruppen wurden Opfer des Massenmordes. Schließlich hatte es schon gereicht, eine Brille zu haben oder keinen Dreck unter den Fingernägeln, um das Todesurteil zu besiegeln. Letztendlich wurde der Klassenkampf gnadenlos und in seiner extremsten Form durchgeführt. Die Roten Khmer strebten den totalen Arbeiter- und BAuernstaat durch die Ausrottung jeglicher Bildung an.
Spannende Erzählung aus drei Perspektiven
Der vorliegende Roman schildert die Zeit während der Herrschaft Pol Pots aus drei Perspektiven, wobei das Werk wie ein Interview aufgebaut ist. Die Rahmenhandlung bildet das Treffen eines Reporters mit drei Kambodschanern mit unterschiedlichen Hintergründen. Eine der Personen ist ein Intellektueller, dem es gelang, sich zu verbergen und nur durch Zufall Zutritt bis in die Führungsriege der Roten Khmer erhielt. Ein weiteres Gespräch findet mit jemanden statt, der Flüchtlinge über die Grenze nach Vietnam schleuste. Die dritte Person berichtet direkt von den Erlebnissen in den Zwangslagern und den bestehenden Zuständen. Dabei werden die Geschichten aber nicht durchgehend erzählt, sondern immer wieder von anderen Kapiteln unterbrochen, wobei ein Kapital sich stets auf eine der Erzählenden fokussiert. Das schafft in der Hinsicht ein gewisses authentisches Gefühl, da die Interviewten quasi immer wieder mal abbrechen müssen bei den schrecklichen Erinnerungen. Die drei Episoden werfen dabei jeweils einen eigenen Blick auf das Zeitgeschehen und liefern im Gesamten im Rahmen einer prosaischen Erzählung einen guten Einblick auf das Pol Pot Kambodscha.
Ein guter Einstieg in die Thematik
Harry Thürk gelingt es vortrefflich, einerseits die Erlebnisse der einzelnen Protagonisten eindrucksvoll zu schildern und ihr Gefühlsleben dem Leser nahezubringen, anderseits schafft er es in der Erzählung selbst, die Zustände unter der Terror-Herrschaft der Roten Khmer darzustellen. Es bleibt durchaus dafür Raum, die wichtigsten politischen Eckpfeiler nahezubringen. Somit kann der Leser im Groben nachvollziehen, wie der Aufstieg der Roten Khmer gelang. Die grundlegenden sozialen Spannungen in der Gesellschaft unter Norodom Sihanouk veranschaulicht der Autor ebenso wie den politischen Konflikt zwischen dem König und dem Premier sowie den Grenzkonflikt mit Vietnam. Natürlich: Es handelt sich hierbei nicht um ein Geschichtsbuch, zu dem man besser greift, um noch tiefer in die Materie einzusteigen. Aber ich finde, dass „Der Reis und das Blut“ einen idealen Einstieg in die Thematik bietet und dabei packend an eines der schrecklichsten historischen Ereignisse erinnert. Das Werk eignet sich also auf jeden Fall, um sich etwas Grundwissen über das Kambodscha der Roten Khmer anzueignen und sich gewahr zu werden, dass dieser Akt der Barbarei noch in den 70ern möglich war. Ergänzend ist zu sagen, dass ein nicht unerheblicher Teil aus dem Führungskader der Roten Khmer nie belangt wurde.

Ein Fazit, das ich noch mitnehme: Warum Anti-Totalitarismus wichtig ist
In Zeiten, in denen der Kampf gegen rechts dominiert (und was man als rechts bezeichnet), wird der Antifaschismus als oberstes Staatsziel proklamiert. Gerade die linken Parteien tun sich hier mit einem eindrucksvollen Enthusiasmus hervor. Leider fehlt ihnen dieser Innbrunst, wenn es sich um das andere Extrem handelt. Dabei nehmen sich alle extremen Staatsformen nicht. Vergleichen wir die Roten Khmer mit den Nationalsozialisten, dann sind sogar sehr einfach parallelen erkennbar. Die Einteilung von wertig und unwert (was bei den Roten Khmer das alte und neue Volk war), aggressiver Nationalismus, die totale Kollektivität, in der der Einzelne nichts zählt und die Notwendigkeit, alles Schädliche und Unwerte auszurotten, sind jene Aspekte, die die beide ideologischen Bewegungen zu geistigen Verwandten machen. Der Vernichtungswille der Roten Khmer wurde allein nur dadurch ausgebremst, da sie schlechter ausgestattet waren und durch den Fokus auf den reinen Bauern- und Arbeiterstaat jegliche Infrastruktur zusammenbrechen ließen. Hätten sie jedoch die Möglichkeit gehabt, wäre ein Eroberungsfeldzug in Vietnam und womöglich weiter wahrscheinlich geworden. Das alte Khmer Reich wieder herzustellen war eines der Staatsziele. Glücklicherweise waren die Roten Khmer militärisch jedoch unterlegen und wurden letztendlich von den vietnamesischen Truppen zerschlagen.
Der Konsens des Antitotalitarismus scheint aber damals wie heute nicht so richtig angekommen sein. Schon in den 70er Jahren gab es teilweise offene Pol Pot Unterstützer an den Universitäten und wie bereits gesagt, bringen es Teile der Linke heute noch nicht über das Herz anzuerkennen, dass es linken Extremismus gibt. Gegen Geschichtsvergessenheit kann ich das Buch auf jeden Fall empfehlen.
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