Angst: Ich habe ein kleines Rätsel für dich. Magst du es beantworten?
Liebe: So stell es mir. Ich mag das Rätsel gerne lösen.
Angst: Des Menschen bester Freund und schlimmster Feind das bin ich. Von Kindheit an begleite ich dich. Sporne dich zu Taten an oder lähme dich. Und alleine mit mir sein, das willst du nicht. Na, was bin ich? Kannst du das Rätsel lösen?
Liebe: Es hört sich knifflig an.
Angst: Und doch ist es ganz einfach.
Liebe: Ist es Freude? Die Sehnsucht? Vielleicht auch die Hoffnung? Aber nein, wie kann die Hoffnung lähmen? Es muss ein Gefühl sein.
Angst: Du bist nah dran. Es ist das mächtigste Gefühl von allen.
Liebe: Dann ist es leicht. Es geht um mich, um die Liebe.
Angst: Nein, du Dummerchen. Natürlich bin die Lösung ich. Die Angst. Das mächtigste Gefühl von allen. Das erste Gefühl, das die Menschen von klein auf begleitet und das die Quelle einer jeden Handlung ist.
Liebe: Das ist absurd und einfach lächerlich. Wie kann die Angst stärker sein als die Liebe, die so für das Gute im Menschen steht und ihm den stärksten Antrieb gibt. Angst kann lähmen, ja. Das gibst du in deinem Rätsel zu. Aber wie kann sie anspornen?
Angst: Ich möchte deinen Wert für den Menschen nicht in Frage stellen, den du durchaus hast, aber ohne mich gäbe es dich nicht. Siehe. Die Angst ist das erste, was dem Menschen widerfährt, wenn er auf die Welt kommt und alles um ihn herum so unbekannt und bedrohlich wirkt. Sie ist das erste Gefühl, das er kennenlernt und die emotionale Prägung, die für ihn bestimmend ist, noch lange bevor er überhaupt weiß, was Liebe ist. Liebe zu Mutter kann er erst durch die Geborgenheit gewinnen, doch den Schutz in der mütterlichen Geborgenheit findet der Mensch erst einmal durch die Angst, die ihn dazu verleitet, diese Geborgenheit zu suchen. Das gilt natürlich auch für später. Wenn jemand nach seiner großen Liebe sucht, warum macht er das? Er weiß ja erst einmal nicht, in wen und ob er sich überhaupt in jemanden verliebt. Da ist schon vorher ein Antrieb da und dieser zeigt sich in der Angst vor dem Alleinsein. Oder noch besser gesagt, vor dem Einsamsein. Letztendlich muss man ja nicht einsam sein, wenn man alleine ist, doch die meisten Menschen, die nichts mit sich selbst anfangen können, setzen beides gleich. Also suchen Sie nach jemanden, den sie lieben können und er sie liebt – angetrieben von dieser Angst vor dem Alleinsein.
Liebe: Das ist zynisch und unwahr. Die Menschen treibt das Suchen nach der Liebe an sich an, die genährt wird durch das Hoffen auf die schönsten Glücksmomente, die man mit jemanden verbringen kann, auf das Erwarten der Zweisamkeit und das Wissen, dass es jemanden gibt, der für einen bestimmt ist.
Angst: Firlefanz und menschliche Romantisierung. Du bist schwach geworden über die Zeit und lässt das menschliche Fremdbild von dir bereits an dich heran und zum Teil deiner Persönlichkeit werden. Doch damit betrügst du dich nur selbst. Du bist ja nicht einmal ein Gefühl an sich. Du entstehst aus Emotion, biochemischen Reaktionen und psychologischen Faktoren. So genommen bist du ein Trugbild. Doch ich, ja ich bin wirklich echt. Eine wahre Emotion, aus der heraus der Glaube an die Liebe erwächst. Du bist also ein Teil von mir. Und die Hoffnung von der du sprichst. Ja, wie könnte denn die Hoffnung ohne Angst entstehen? Hoffnung zu haben, heißt immer, einen besseren Zustand zu erwarten. Wenn die Menschen also um der Liebe wegen lieben und geliebt werden wollen, wie kann man von Hoffnung reden, wenn es nur diesen Glückszustand an sich geben würde, den du proklamierst. Natürlich steht an erster Stelle die Angst vor der Einsamkeit und dann kommt das Hoffen darauf, die Liebe zu finden und nicht mehr einsam zu sein. Somit bin ich der Antrieb. Ohne mich wüssten die Menschen nicht mal, dass es dich gäbe.
Liebe: Du übersiehst dabei, was die Menschen mit meiner Kraft erreicht haben. Selbst wenn dem so wäre, wie du es darlegst und du die Grundlage für mich wärst, so arbeiten die Menschen dann doch mit der Liebe an sich, um in ihrem Leben etwas zu erreichen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie sind gut zueinander. Sie schaffe neue Ideen, die ihnen Halt geben. Liebe muss nicht nur unter Menschen sein. Es kann auch die Liebe zu einer Idee sein, die anspornt. Angst hingegen lähmt vor allem. Selbst wenn sie in Einzelfällen antreibend sein kann, so hemmt sie vor allem. Aber vielleicht möchtest du auch hier ein Beispiel nennen, wo du hemmst? Du gibst es zu und da möchte ich gerne wissen, in welchen Bereichen du dieses Eingeständnis machst.
Angst: Der Fluch des Menschen ist es nun einmal, mit gewissen Instinkten ausgestattet zu sein, aber dennoch über Verstand zu verfügen, der diese inneren Mechanismen hinterfragen lässt. So kommt es durchaus dazu, dass Angst lähmen lässt. Es kommt auch immer darauf an, wie man mit ihr umgeht. Sie kann antreiben, aber auch stoppen.
Liebe: Aber findest du nicht, dass Antrieb, der aus Angst geschieht, zerstörerisch ist? Wäre nicht der liebevolle Antrieb der, der zu positiven Ergebnissen führt?
Angst: Lächerlich, da beides ineinander übergeht. Wo Liebe ist, da ist auch Angst. Wir sehen es doch gerade, wenn es um die Liebe zu Ideen geht. Schau auf die Menschen. Da ist ein Mann gestorben, der ein paar Bilder von einem Kameltreiber gezeichnet hat. Und was sehen wir? Menschen, die über diese Bilder in Rage geraten sind, freuen sich nun über dessen Tod. Sie sagen, es ist ihre Liebe zum Propheten. Die Liebe zu ihrem Glauben. Aber es ist nur Angst. Es ist die Angst, die diese Illusion von Liebe aufgestellt hat. Doch ginge es um die Liebe, wie du denkst, wie sie sein sollte, wie du sein solltest, dann würde es diesen Zorn nicht geben. Es ist schlicht Angst, die zu solch einem dogmatischen Weltbild führt und die Menschen vereint, um Halt zu finden. Und um dieses Weltbild zu halten, muss man umso fanatischer daran festhalten, um keinen Riss in dieser Illusion zu bekommen. Als Einzelperson kann dieser Fanatismus, der sich aus Angst nährt, lähmen. Doch in der Gemeinschaft treibt er an. Er spornt dazu an, zu bekehren, zu verleiten und zu bekämpfen, um jeden Angstfaktor zu beseitigen, der das schöne Trugbildgebäude einreißen könnte. Natürlich ist so ein Verhalten zerstörerisch aus der Sicht solcher, die einer Idee nicht anhängen. Aber dann ist es auch ihr Problem, wenn sie sich von Ängsten lähmen lassen und sich dem nicht entgegenstellen. Eine jede Ideologie möchte sich natürlich verbreiten unter dem Deckmantel der Liebe und auf Grundlage der Angst, alles bekämpfen, was dem entgegensteht. Das ist menschlich. Daher wird es auch immer Konflikte geben, was die Utopie auf Weltfrieden und Liebe für alle schon einmal irrational macht.
Liebe: Dann frage ich dich doch, wo und wie siehst du die Liebe wirken?
Angst: Liebe wirkt individuell. Wie gesagt, es ist ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren. Und Sie kann nur zwischen Individuen wirken. Und wenn sie wirkt, dann mit ihrer Energie, doch für diese Energie braucht sie einen Motor und das bleibt nach wie vor die Angst.
Liebe: Das ist Unsinn.
Angst: Sie es ein. Das Individuum an sich sucht nach Liebe, weil es Angst hat. Und das Kollektiv sucht etwas zum Lieben, weil es Angst hat. Warum denkst du denn, werden aus der Liebe heraus so viele schlimme Taten begangen? Gäbe es dieses klischeehafte Bild der Liebe, dann würde niemand im Namen der Liebe morden oder sonstige schrecklichen Taten begehen. Und andere Emotionen wie Eifersucht oder überhaupt, die Befürchtung, dass man verletzt werden kann, wenn etwas nicht den eigenen Gefühlen entspricht. Es bleibt die Angst, die antreibt. Und jedem obliegt es, zu überlegen, wie er mit dieser Angst umgeht.
Liebe: Aber es begeht ja nicht jeder schlimme Taten, der liebt. Wie kannst du also so generalisieren? Und es fühlt sich auch nicht jeder gleich in seinen Gefühlen verletzt.
Angst: Natürlich wird nicht jeder brutal. Aber jeder Mensch wird in seinen Gefühlen verletzt. Und dass man in seinen Gefühlen verletzt wird, ist ein Anzeichen von Angst. In jeder Hinsicht. Wäre da keine verborgene Angst, gäbe es keinen Grund, sich verletzt zu fühlen. Egal, ob es um Ideen oder Zwischenmenschliches geht. Welchen Grund gäbe es, wenn die Liebe so gefestigt wäre, wie du es darstellst, sich über verletzte die Liebe betreffende Gefühle zu echauffieren und sich gar Trauer oder Wut hinzugeben? Wer gefestigt in seinen Liebesgefühlen wäre, die ja eben keine realen Gefühle sind, den müsste doch nichts tangieren können? Und doch werden die Menschen darüber aufgewühlt, einfach weil dann die Ängste zum Vorschein kommen, die dazu geführt haben, ein Objekt zu wählen, auf das man seine Liebe anwenden kann, um sich somit in Sicherheit zu wiegen.
Liebe: Ich…ich…
Angst: Du stotterst und ich sehe, du wirst blass. Habe ich dich erwischt? Du zitterst. Sieh an, du bekommst es ja mit der Angst zu tun. Selbst die Liebe selbst in ihrer Pracht hat Angst, wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert wird. Aber nimm es nicht so schwer. Solange ich existiere, wirst auch du existieren. Aber vergiss einfach, was ich gesagt habe und gebe dich wieder deiner schönen Illusion hin.
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