Epikureismus als moderner Lebensweg

Hedonistisch und maßlos – nicht erst mit dem Aufkommen der Scholastiker und anderer dogmatischen Philosophien kursierten über den Epikureismus allerhand Vorurteile. Bereits der römische Philosoph Seneca, selbst sich dem Stoizismus zurechnend, verteidigte in Schriften wie „Vom glückseligen Leben“ die Lehren Epikurs vor denen, die diese unbewusst oder bewusst fehlinterpretierten. Viel hat sich nicht geändert. Bis heute wird die Lehre von der Lust immer wieder dazu missbraucht, um zügelloses Handeln zu rechtfertigen. Dabei ist moderner Epikureismus eigentlich das, was die meisten Menschen bräuchten.

Epikureismus und Stoizismus – gar nicht mal so verschieden

Epikureismus und Stoizismus gehören zu den wichtigsten philosophischen Strömungen des antiken Griechenlands, wobei letztere maßgeblich Einfluss ausübte auf die christlich-kirchlichen Lehren und ein Fundament bildete für die Denkweisen im Lauf der abendländischen Geschichte. Während bei ersterem die Lust im Fokus steht, baut der Stoizismus auf die Tugend, die den Weg zu einem glückseligen Leben ebnet. Das glückselige Leben ist bei beidem das Ziel, nur der Pfad unterscheidet sich und das aber im Kern nicht einmal so sehr. Denn das was die Anhänger der Stoa unter Tugend verstehen und die, die den Thesen Epikurs folgen unter dem Lustbegrif, basiert auf einer bestimmten Lebensführung. Gemein ist, dass alle zwei Strömungen das Verfügbare ins Visier nehmen und das nicht erreichbare ausschließen. Wo der Stoizismus jedoch auf die Vernunft setzt, um Ruhe und Gelassenheit zu erlangen und die Tugend als höchstes Gut betrachtet, um sich von allen falschen Begierden zu befreien, so ging Epikur davon aus, dass nicht alle Bedürfnisse von der Vernunft beseitigt werden können. Das sind die Begriffe Lust und Unlust. Doch auch hier geht es um Selbstkontrolle.

Epikureismus als die realistischere Option

Die Herrschaft der sittlichen Vernunft, wie sie in der Stoa proklamiert wurde, war Vorbild für das Christentum und wurde immer wieder gerne als kanonisch für die dortige asketische Lehre betrachtet, wenngleich berühmte Stoiker keinesfalls das Asketentum verherrlichten. So schreibt Seneca, man darf reich sein, aber muss den Reichtum beherrschen und sich nicht von diesem beherrschen lassen. Allerdings wird Rahmen christlicher Propaganda Stoizismus gerne mal mit Askese gleichgesetzt und darüber hinaus in dem Sinne, dass tugendhaftes Handeln kompromisslos das Handeln nach bestehendem Moralkodex ist.

Bild von Gordon Johnson by Pixabay

Epikur begreift die Lust als eine Seelenruhe und die Unlust als eine Art Unruhe. Beide haben unmittelbare, aber keine absoluten Wertungen, worin eben der größte Unterschied zum Stoizismus liegt. Auch die Vermeidung von Schmerz ist etwas, das dem Epikureismus eigen ist. Konkret heißt das zwar, dass Epikur auch ein tugendhaftes Leben anvisiert hat, aber dabei akzeptierte, dass man nicht alle Affekte, alle Lüste, alle Bedürfnisse allein mit der Vernunft vermeiden konnte. Vielmehr geht es darum, diese eben zu kontrollieren und so zu handhaben, um ein geruhsames und möglichst schmerzfreies Leben zu führen. Es heißt dabei nicht, dass man dabei auch nicht etwas mehr haben kann als das Notwendigste. Epikur unterscheidet zwischen drei Begehren: die natürlichen und notwendigen, die natürlichen und nicht notwenigen, die unnatürlichen und nicht notwendigen. Daraus folgt, dass es kein Begehren gibt, das unnatürlich und notwendig ist. Epikur geht wie auch die Stoiker davon aus, dass die Natur alles bereithält, was es für ein lustvolles Leben braucht. Nicht natürlich und dabei nicht notwendig wäre das Streben nach Ruhm, da Ruhm ein Konzept ist, das in der Natur nicht existiert und vom Menschen geschaffen wurde. Nichts desto trotz spricht nichts dagegen, etwas von den natürlichen, nicht notwendigen Dingen zu genießen, solange kein Schmerz für einen selbst oder andere entsteht.

Moderner Epikureismus – was heißt das konkret?

Ein Leben im Sinne Epikurs ist ein lustvolles Leben, bei dem es gilt, Schmerz zu vermeiden. Schmerz vermeiden heißt nicht, negative Gefühl nicht zuzulassen. Trauer und Zorn etwa sind ganz natürliche Regungen, die man eben auch mal ausspielen muss, wenn es denn notwendig ist. Hier ist konkret der Unterschied zum Stoizismus, der darüber hinaus eben nicht die Vermeidung von Schmerz andenkt, sondern dessen Ertragen sowie das stoische Aushalten alledem, was nicht vermeidbar ist. Allerdings können negative Gefühle aufgrund von unnatürliche und überbordenden Begehren entstehen, die sich nicht stillen lassen, etwa, wenn man immer mehr möchte und immer mehr und mehr und mehr und damit in einem stetigen Zustand der Unzufriedenheit verharrt. Das Stillen von Lust kann zudem unter Umständen großen Schmerz nach sich ziehen und der Verzicht auf eine Lust hätte einen kleineren Schmerz zu Folge gehabt. Hier gilt es durchaus, abzuwägen. Man kann eine solche Abwägung als Weisheit bezeichnen, die in beiden in diesem Text angesprochenen philosophischen Schulen hochgeschätzt wird. In diesem Sinne nehmen unter all den Teillüsten, die das glückliche Leben bilden die geistigen Lüste den obersten Rang ein zusammen mit denen, die der Stillung von Grundbedürfnissen dienen. Geringe, sogar keine Bedeutung, haben Ruhmsucht und Machtanspruch.

Ebenfalls wichtig: Der Epikureismus schätzt die Tugend in so weit, wie sie keinen Schmerz verursacht. Er lehnt die sklavische Moralbefolgung um jeden Preis also ab. Gerade in den heutigen Zeiten, in denen moralische Imperative wieder Konjunktur haben, die als Tugend ausgegeben werden, ist es umso notwendiger, zu hinterfragen, ob eine Tugend denn auch wirklich eine Tugend ist oder sogar Schaden bringt. Oder wie es Nietzsche so schön sagte: „Der Asket macht aus der Tugend eine Not.“

Bild von mohammed Hassan by Pixabay

Was das für mich persönlich bedeutet, werde ich an dieser Stelle in einer kurzen Zusammenfassung darlegen auf Basis meiner eigenen Lebensführung:

  • Ich habe eine klare Vorstellung von dem, was ich wirklich brauche und wo ich mir mal etwas Luxus gönne. Dementsprechend gibt es Lebensbereiche, wo ich mit wenig klarkomme, wie bei der Wohnung, wo ich mich auf das Zweckdienliche besinne. Wo ich mir etwas mehr und Teures gönne, ist, wenn es darum geht, gutes Essen zu genießen. Ich kann zwar mit einfacher Kost auskommen und mach das auch oft, aber von Zeit zu Zeit gönne ich mir auch etwas in einem Sternerestaurant. Auch teuren Whisky erlaube ich mir immer wieder. Allerdings bin ich von solchem Luxus nicht abhängig, wenn es gerade nicht zulässig ist, sei es finanziell, aus gesundheitlichen Gründen oder weil es zeitlich einfach nicht geht. Ich genieße solche Freuden, vermisse sie aber auch nicht, wenn ich sie aus verschiedenen Gründen nicht erleben kann. Und natürlich weiß ich auch, wo die Grenze ist, damit eine Lust zum Schmerz wird (einfaches Beispiel: der Kater nach zu viel Alkohol oder Folgen durch ungesunde Ernährung). Und so empfehle ich auch jedem: Verzichtet nicht, nur weil es euch als moralisch vorgeschrieben verkauft wird. Verzichtet, wenn ihr denkt, dass Verzicht auch mal notwendig ist, um euch oder andere nicht zu Schaden. Es gibt ein Leben zwischen ausgelassenem Hedonismus und asketischen Zwang. Und nur weil man auch ohne etwas Leben kann, heißt es nicht, dass man es muss, wenn man dadurch niemandem schadet.
  • Erwerb von Wissen und Weisheit sind für mich wichtig. Ich begreife auch meine Schreiberei als eine geistige Lust, die mir viel dabei hilft, gelassener zu werden und mich mit verschiedenen Fragen zu beschäftigen. Die Kreativität ist ein Genuss, die mir viel Ausgleich verschafft und ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass Kreativität für jeden Menschen wichtig ist. Ich weigere mich dabei, anzuerkennen, dass es unkreative Menschen gibt. Diese „Unkreativen“ haben nur noch nicht entdeckt, in welcher Weise sie kreativ sein können.
  • Ich versuche möglichst gut zu handeln, wie es mein eigener Moralkodex zulässt. Im Sinne des Liberalismus schädige ich niemanden mutwillig. Ich muss mich aber deswegen nicht der Selbstkasteiung und der Eigenschädigung aussetzen, nur weil es ein subjektives Normenkonstrukt es verlangt. Wir sehen es in der aktuellen politischen Debatte bei verschiedenen Themen, wo Solidarität gefordert wird und Solidarität Selbstgeißelung meint – etwa wenn es um sinnlose Corona Regeln geht wie die Ausgangssperre, die einzelne Spaziergänger bestraft, die wohl keine ausgelassenen Corona Partys veranstalten. Ich werde auch in diesem Jahr in die Berge verreisen und bin dadurch sicherlich kein unsolidarischer Hedonist, wenn ich mich praktisch nur zum Schlafen im Hotel aufhalte und den ganzen Tag über alleine in der Natur bin, deren Genuss mir ebenfalls einen Lustgewinn beschert. Im Gegensatz dazu bin ich aber auf jeden Fall bereit, auf Vergnügliches zu verzichten, wenn dann etwa ein guter Freund Hilfe braucht.
  • Und auch wenn der Epikureismus von der These ausgeht, dass Menschen mit einfachen Wünschen diese einfacher befriedigen und somit gelassener, lustvolle und insgesamt glücklicher leben können, so halte ich mir auch große Wünsche bereit allerdings mit einem realistischen Blickwinkel. Etwa das Schreiben. Natürlich wäre das schön, würde ich irgendwann einen Bestseller landen und diesen Traum hege ich, nicht aber in dem Sinne, dass ich meine sonstige Arbeit fallen lasse, mich um gar nichts mehr kümmere und mich später in eine schwierige Situation bringe. Ich habe diesen Wunsch, werde aber davon nicht mein Leben bestimmen lassen und komme immer noch gut im Leben zurecht, wenn er sich nicht erfüllt. Auch wenn ich als Autor nie den Durchbruch erleben würde, so mache ich dies aus Leidenschaft und als Hobbyautor bis zum Schluss wäre ich ebenso glücklich. Aber die Chance auf Erfolg muss ich deswegen ja nicht ablehnen. Wichtig ist nur, dass ich das mache, mit dem ich zufrieden bin und dass meine Tätigkeit etwas ist, das mir etwas bringt und nicht nur der Ruhmsucht wegen agiere. Denn auf jeden Fall ist das Schreiben an sich schon ein Genuss für mich auch ohne die Anerkennung durch andere.

Fazit

Das waren soweit meine Kurzausführungen. Natürlich sind die Themen der griechischen Philosophieschulen deutlich komplexer, als ich sie hier dargelegt hatte. Mir ging es jetzt auch nicht um eine ausführliche Abhandlung, sondern nur um einen kleinen Lebenstipp in Zeiten, in denen postmoderne Theologien sich erheben und uralte Debatten zwischen radikalen Verzichtserklärern und ungezügelten Gegenpositionen wieder zunehmen. In Zeiten der Polarisierung, in denen Debatten von moralischen Forderungen durchsetzt sind, erscheint mir die Grundidee Epikurs des lustvollen Lebens durchaus als ein nützlicher Weg abseits von hedonistischer Hemmungslosigkeit. Tugendhaft handeln, aber nicht bis zur Selbstaufgabe. Bedächtig mit Wünschen und Gelüsten umgehen, ohne auf sie vollkommen zu verzichten. Kontrolle statt Aufgabe – was kann an dieser Maxime denn schlecht sein?

Beitragsbild von morhamedufmg by Pixabay

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