„Wollt Ihr die absolute Diversität?“ Mit diesen Worten, die doch sehr an einen bekannten historischen Ausspruch erinnern, beginnt Constantin Schreiber seinen Roman, der zwischen Gesellschaftssatire und beängstigende Dystopie angesiedelt ist. Diese Frage gibt dann auch gleich den Ton vor bei der weiteren Beschreibung einer Gesellschaft, in der sich alles nur noch um Diversität, Identitätspolitik und Revanchismus im Gewand der Gerechtigkeit dreht vor dem Hintergrund einer möglichen muslimischen Kanzlerin. Wie zu erwarten hat sich sogleich ein Twitter Mob gebildet, der den Autor als Wortführer der neuen Rechten oder als Steigbügelhalter für Rassisten betrachtet. Islamophobie und andere Schlagworte sind gefallen, die sich auch bei den Amazon Rezensionen finden. Die üblichen Entlassungsforderungen waren natürlich mit dabei. Dabei ist es dieses Verhalten, das keinen sachlichen Diskurs zulassen möchten, das dazu beitragen kann, dass sich das verstörende Szenario, das „Die Kandidatin“ zeichnet, zumindest in Teilen erfüllt.
Deutschland in 30 Jahren – die gesellschaftliche Spaltung erreicht ihren Höhepunkt
Die Handlung ist in einem Deutschland 30 Jahre in der Zukunft angesiedelt. Die Ökologische Partei (wer könnte das wohl sein?) hat bereits eine Menge umgesetzt von ihrem Wahlprogramm, in dem identitätspolitische Belange einen großen Teil einnehmen. Gerechtigkeit, Gleichheit, Überwindung des Kapitalismus und der Sturz des weißen Patriarchats sind die Säulen, auf denen die Politik fußt. Überall werden Quoten einführt und eine sogenannte Identitäts-Matrix etabliert, die Vielfalt durch Zwang in nahezu allen Lebensbereichen regelt und Menschen mit Vielfaltsmerkmalen begünstigt. Weiße Menschen ohne Vielfaltsmerkmale gehören zu den Verlierern. Das Land ist gespalten wie nie zuvor: Links gegen rechts. Die Linken, Kommunisten, Linksliberalen und selbsternannten Progressiven bilden einen Block, die diese Politik unterstützt. Dem gegenüber stehen die Konservativen, Rechtsliberalen, Völkischen und Neo-Nazis, die sich gegen die erzwungene Diversität stellen. Zwischentöne scheint es kaum mehr zu geben.
Im Fokus dieser polarisierten Situation steht Sabah Hussein, Kanzlerkandidatin der Ökologischen Partei, überzeugte Muslimin und Feministin. Aus ihrer Sicht wird das Geschehen überwiegend geschildert. So erfährt der Leser einiges über ihre Gedankengänge, wie sich ihre Überzeugung als gläubige Muslima mit dem Streben nach maximaler Diversität verbindet – zwei Ansichten, die und das wird im Buch in einzelnen Stellen aufgegriffen, immer wieder in Gegensätzen zueinanderstehen. Wir erfahren über ihre Vergangenheit und ihre Motivation, Kanzlerin in Deutschland zu werden und wir lesen auch etwas über ihr Umfeld sowie darüber, wie Sabah ihre Freizeit verbringt. Daneben läuft eine Handlung ab, die sehr schlicht ausfällt und sich darauf beschränkt, dass ein unbekannter Opponent die Kanzlerschaft der Protagonistin sabotieren möchte. Das war es eigentlich auch schon. Der Autor legt ohnehin eher weniger Wert auf eine spektakuläre Handlung, um einen Polit-Thriller hervorzuzaubern. Vielmehr geht es darum, das Bild eines möglichen Zustands zu beschreiben, was einerseits großer Pluspunkt des Romans ist, aber gleichzeitig seine größte Schwäche. Dazu dann mehr.

Gar nicht einmal so abseitig
Das Verblüffende ist. Immer wieder werden Verfahren und Gegebenheiten beschrieben, die erst einmal so absurd klingen, dass man erst einmal lachen möchte. So ging es zumindest mir beim Lesen. Dann überlegte ich etwas und sah Parallelen zur bereits bestehenden Situation. In weiten Teilen möchte Constantin Schreiber übertreiben, doch gelingt es ihm dann doch nicht, weil die Realität da schon jetzt mithalten kann. Vielleicht könnte es in 30 Jahren tatsächlich noch krasser sein. Somit ergibt sich zwar eine satirische Komponente, die aber letztendlich keine Satire mehr ist. Youtube und Haltungsjournalisten, die eine bestimmte Agenda stützen sind ebenso an der Tagesordnung wie die Versuche, Existenzen zu zerstören wegen Social Media Posts, die Jahre zurückliegen. Es vergeht kaum ein Tag, in dem nicht irgendwo über Quoten und Diversität diskutiert und autoritär-verpflichtende Maßnahmen in den Raum gestellt werden. Unliebsame Dozenten sollen nicht mehr an den Universitäten lehren dürfen, Denkmäler werden gestürzt, Museen umgeräumt, die komplette europäische Zivilisation in Frage gestellt. Den Islam zu kritisieren ist eine Sünde und in dem Deutschland, das Schreiber abbildet, darf über die Religion ohnehin nur noch als „Die Friedensreligion des Islams“ gesprochen werden, wenn man nicht Opfer der Moraljustiz werden will. Islamverbände gewinnen noch mehr an Einfluss und werden bereits im Deutschland 2021 hofiert, ganz gleich, wie konservativ und chauvinistisch. Filme und andere kulturelle Erzeugnisse werden vermehrt nach ihrer Vielfalt produziert. Im Buch sieht sich Sabah dann eben auch den neuen „007“ an, in dem „007“ nun von einer schwarzen, lesbischen Frau mit Behinderung gespielt wird. Man kann kaum mehr lachen über diese Absurdität – denn die Geisteshaltung, die solche Abstrusitäten hervorbringt, ist allgegenwärtig. Ebenfalls nicht fehlen dürfen die Komikerinnen und Rapperinnen mit Migrationshintergrund, die mit spalterischen Reden glänzen, um Gerechtigkeit zu propagieren – etwa mit Liedtiteln wie „Kill the Whites“. Auch, dass derartige Satire bei POC problematisch wäre, gegen Weiße aber ohne Probleme gemacht werden kann, ist heute schon Realität. Ich verweise da auch auf den Fall einer recht unbekannten Komikerin, die in den ÖRR fröhliche Witze über Napalm auf Sachsen gemacht hat. Rechtextreme reagieren wiederum damit, massenweise Land aufzukaufen, um eine eigene, abgegrenzte Kommune zu gründen. Entsprechendes Vorgehen beobachten wir in Ansätzen in der Gegenwart.
Dass einerseits Spaltung angeprangert wird, nur um im selben Atemzug zu spalten, erleben wir im Hier und Jetzt ebenso durch Protagonisten wie Ferda Ataman, die deutschen Ärzten mal eben unterstellt, Migranten als Patienten zweiter Klasse zu behandeln oder wenn der Journalist Fabian Goldmann ultra-polemisch Islamisierung gegen rechts fordert.
Roman mit dem Stil eines Sachbuchs
Es werden also recht viele Punkte abgehandelt, man kann fast schon sagen, aufgezählt. Damit möchte ich mich dem großen Problem widmen, das man Schreibers Roman nicht absprechen kann. Er nennt viel, erklärt viel, aber erzählt wenig. Es handelt sich bei „Die Kandidatin“ zwar um einen Roman, gemäß des Schreibstils wähnt man sich zuweilen in einem Sachbuch (Schreiber hat zum Thema Islam bereits einige Sachbücher verfasst). Alles wird nüchtern dargelegt, auch die Gedanken und Gefühle einzelner Protagonisten wie die Hauptperson Sabah Hussein, aber es findet kein versiertes Spiel mit den Worten statt. Blumige Sprache findet man ebenso wenig wie Metaphern oder andere literarische Stilmittel, die Spannung erzeugen oder Emotionen hervorrufen. Es ist wie gesagt eine Zustandsbeschreibung, die sich allein auf ihre Prämisse verlässt, um den Leser zu fesseln. Da der Sprachschatz insgesamt sehr einfach gehalten ist und das Werk mit 200 Wörtern nicht sonderlich umfangreich ausfällt, lässt sich das Buch sehr gut in einem Rutsch durchlesen. Hier hätte es für einen Roman allerdings mehr Möglichkeiten gegeben.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass über die Ansprache von islamischen Einfluss und Diversität hinaus noch ein paar weitere relevante Themen aufgegriffen werden, etwa das immer aggressiver expandierende China, das seine Stellung als Weltmacht zementiert. Es macht zwar grundlegend durchaus Sinn, das supergerechte Deutschland mit seinen Spinnereien der neuen Supermacht gegenüberzustellen und darzulegen, wie unsicher sich Sabah im Angesicht dieser Bedrohung fühlt, aber aufgrund der Kürze des Buches bleibt einiges zu oberflächlich. Ähnliches findet sich bei anderen angeschnittenen Themen. Vielleicht hätte es etwa 100 Seiten mehr gebraucht, um noch mehr in die Tiefe zu gehen.
Geklaut von Houellebecq?
Die Grundprämisse einer muslimischen Kanzlerin erinnert sehr stark an Michel Houellebecq´s aufsehenerregendes Werk „Unterwerfung“. Ich würde „Die Kandidatin“ aber nicht als eine Kopie bezeichnen, da beide Romane ihren Fokus unterschiedlich setzen. So geht es Schreiber mehr darum, das Gesamtbild einer Gesellschaft zu beschreiben und etwas in die Gedankenwelt der möglichen Kanzlerin einzutauchen sowie deren Konflikt in gewissen Dingen (Beispiel: Sie setzt sich dafür ein, von Gott, als Gott/Göttin zu bezeichnen, wobei sie gegenüber der konservativen muslimischen Gemeinde entsprechende Genderung bei Allah eher zurückhält). Houellebecq hingegen taucht ein in den Mikrokosmus der französischen Intellektuelle, die sich aus Bequemlichkeit und aus Eigennutzen heraus zum Handlanger einer gesellschaftlichen Umwälzung macht. Unterwerfung funktioniert zudem als klassischer Roman einfach besser.
Keineswegs ein Skandal
Trotz der genannten Schwächen kann man „Die Kandidatin“ durchaus lesen, einfach allein, um zu reflektieren, welche der beschriebenen Zustände zumindest in Ansätzen schon eingetreten sind. Ein riesiger Skandal war das Buch jetzt nicht. Nur im Tagesspiegel und der Süddeutschen hat man sich dazu berufen gefühlt, Constantin Schreiber in die rechte Schmuddelecke zu drängen. Der Rest der Empörung lief überwiegend in den sozialen Medien ab. Die Frage, wie mächtig solche Social-Jacobin-Warriors (bewusste Änderung des SWJ-Begriffes) in Zukunft noch werden können, hält aber einige sehr beunruhigende mögliche Antworten parat. Grundsätzlich sollte eine solche Geschichte, wie Sie Schreiber darlegt, aber kein Skandal sein. Hier muss die Kunstfreiheit ohne Wenn und Aber gelten. Schürt er Ressentiments? Nun, nach der Logik dürfte dann aber auch kein Roman verfasst werden, in dem ein radikaler Katholik und dessen Bewegung an den Schalthebeln der Macht sitzt, es könnte sich ja jemand verunglimpft fühlen. Dass die Protagonistin Sabah so beschrieben wird, wie sie eben beschrieben wird, entspricht einem Charakterzug, den es in der Realität schlicht gibt. Das heißt nicht, dass die ein Prototyp für alle Muslime ist. Aber die Realität darf in der Kunst eben nicht ausgeblendet werden. Und insgesamt gilt: Nur, weil man es nicht ertragen kann, dass das eigene Weltbild attackiert wird, heißt das nicht, dass entsprechende Gegenposition keine Legitimierung hat.
Wie sieht es bei euch aus? Kennt jemand das Buch? Was sagt Ihr zu der grundlegenden Thematik? Seht Ihr es vielleicht tatsächlich so, dass Constantin Schreiber Ressentiments schürt? Lasst mir gerne eure Meinung da.
Die Kritiken sind bis jetzt durchwachsen, vor allem dass er einfach zu nahe an der Realität ist, als dass es als Satire durchgehen kann. Des weiteren liegt er zu nahe an Houellebecqs Roman und er ist eben kein Romanautor. Aber interessant klingt es doch, vielleicht hat ebay ja mal ein Angebot.
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Ja das stimmt. Einiges ist auf jeden Fall sehr realitätsnah. Nach einem Angebot auf Ebay zu schauen ist vielleicht nicht schlecht, weil für den Preis von 22 Euro kriegt man bereits einige ziemlich dicke Klassiker.
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Ja, 22 Euro ist schon recht happig, vielleicht kommt ja mal ein TB. Ansonsten bleibt ja auch noch „Das Heerlager der Heiligen“, das natürlich einen ganz anderen Anspruch hat.
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Ich habe „Die Kandidatin“ bis jetzt noch nicht gelesen, aber das erwähnte Buch „Unterwerfung“, von dem ich sehr enttäuscht war. Houellebecq hätte m.E. viel konkreter werden müssen. Vieles blieb im Nebel verborgen, und Leser mit wenig Kenntnissen, hatten bestimmt Schwierigkeiten, den Plot zu erkennen.
Das scheint im Buch von Constantin Schreiber anders zu sein. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte, die Fakten umsetzt. Hört sich viel interessanter an, als Houellebecq.
Im Text ist die Rede davon, dass Sabah Hussein eine Muslimin und Feministin ist. Die Fakten sprechen da aber eine andere Sprache. Nach dem Koran sind beide Positionen unvereinbar. Der Begriff „Feministin“, kann in diesem Zusammenhang nicht so einfach auf Musliminen übertragen werden. Keine Muslimin wird sich für den Genderkram einsetzen.
Es gibt muslimische Politikerinnen, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzen, aber das ist was anderes, als sich für diverse Sexpraktiken einzusetzen. Hier sollte man zwischen Schweinekram und berechtigten Forderungen unterscheiden. Und jede muslimische Politikerin weiß, sie braucht Stimmen um die Islamisierung der Institutionen voranzubringen. „Takkya“ ist weiter verbreitet, als manche denken (https://bit.ly/3jjMc3G).
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Tatsächlich ist Houellebecq auch deutlich schwieriger zu lesen. Er geht das Thema aber auch auf intellektueller Ebene aus akademischer Sicht ein, was das Ganze etwas sperrig. Um eben in diese gedankliche Welt eines Opportunisten einzutauchen, ist Unterwerfung aber dann doch das empfehlenswertere Buch. „Die Kandidatin“ ist da einfach direkter und insgesamt zugänglicher. Aber leider auch etwas oberflächlich. Den Widerspruch Muslima vs. Feministin spricht der Autor zwar an, aber wie ich geschrieben habe, da hätte man noch mehr darauf eingehen können.
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Im Text erwähnt Christian auch das „weiße Patriarchat“. Die Bezeichnung liest sich immer wie ein Vorwurf, wie eine Schuldzuweisung, und assoziiert Unterdrückung und Ausbeutung von Nicht-Weißen. Ich möchte in keinem schwarzen oder muslimischen Patriarchat leben, sie bestimmt auch nicht.
Die Vorherrschaft der Weißen nimmt kontinuierlich ab. Das ist keine Errungenschaft, sondern ein Alarmzeichen.
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