„Toleranz und Vielfalt.“ Was längst wie eine abgedroschene Phrase aus dem linken bzw. grünen Spektrum klingt, ist tatsächlich nicht so verkehrt und sogar eine hehre Tugend – vorausgesetzt, diese Begrifflichkeiten, werden im richtigen Sinne interpretiert. Seit geraumer Zeit komme ich aber nicht darum umhin, festzustellen, dass sowohl die Toleranz als auch die Akzeptanz immer wieder verdreht werden, wenn es für eine bestimmte Agenda tauglich ist. Dabei steht meist nicht mehr im Vordergrund, unveräußerliche Grundrechte zu bewahren, welche eben in der Freiheit und dem Schutz der Menschenwürde sowie der Unversehrtheit bestehen, sondern vielmehr geht es darum, ein Recht auf unverletzte Gefühle zu konstruieren, was gelinde gesagt mehr als absurd ist. Aber was meine ich damit genau?
Was Toleranz eigentlich bedeutet
Toleranz leitet sich bekanntlich vom lateinischen Wort tolerare ab, was so viel wie erdulden oder ertragen bedeutet. Wie es sich hierbei schon erkennen lässt, geht es nicht darum, etwas zu mögen. Der Toleranzbegriff ist dabei deutlich komplexer, als es zunächst den Anschein hat und setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Ich beziehe mich an dieser Stelle auf das Konzept, das der Politikwissenschaftler und Philosoph Rainer Forst in einer Vortragsreihe aufgestellt hat. In seinem Konzept müssen für Toleranz drei grundlegende Parameter gegeben sein.
1. Ablehnung
Um überhaupt etwas tolerieren zu können, müssen wir etwas ablehnen. Wenn wir etwas mögen, akzeptieren wir es ja schon. Somit ist der Grund für Toleranz ohnehin hinfällig.
2. Akzeptanz
Wenn wir etwas ablehnen und dennoch tolerieren, dann müssen wir die Gründe akzeptieren, warum wir etwas tolerieren. Diese Gründe unter Berücksichtigung der Werte eines liberalen Staates und der Demokratie können etwa ein Regelwerk sein, das Grundsätze für das Zusammenleben bestimmt – in Deutschland wäre es das Grundgesetz. Wir können natürlich auch deontologische Konzepte wie Kants kategorischen Imperativ hernehmen und sagen, dass wir deswegen niemanden einschränken wollen, weil wir eben nicht möchten, dass jemand anderes selbiges mit uns macht.
3. Grenzen
Schließlich hat zudem jede Toleranz ihre Grenzen und hier wird es schwierig. Zu viel Toleranz kann Intoleranz fördern (Toleranzparadoxon), aber wie bemisst man nun, welche Handlungen und Aussagen noch nicht mal mehr tolerierbar sind. Nicht zu verwechseln dabei: nicht tolerierbar und nicht akzeptabel. Dies nimmt bereits vorweg, vorauf ich im Kern dieser Ausführung hinaus möchte.
Zu unterscheiden sind weiterhin Erlaubnistoleranz und Respekttoleranz. Während erstes bedeutet, dass eine Autorität eine Minderheit und ihre Bräuche duldet, diese aber nicht aber als Gleichwertig betrachtet, geht die Respekttoleranz weiter und setzt voraus, dass ein gegenseitiger Respekt stattfindet und das Gemeinwesen im Zusammenschluss definiert, was zu tolerieren ist und was nicht. In einer demokratischen Gesellschaft sind alle Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen gleichwertig und ein respektvolles Zusammenleben ist Voraussetzung, auch wenn man in einigen Punkten divergiert. Wenn man so will, kann man hier bereits die Vorstufe zur Akzeptanz sehen.
Akzeptanz und ihre Voraussetzung für Toleranz
Jetzt steht ja weiter oben bereits, dass Akzeptanz für Toleranz gegeben sein muss. Aber ich betone: Die Akzeptanz bezieht sich in dem Modell, auf das ich mich bezogen habe, auf die Gründe für die Toleranz, die eben vorgeben, warum etwas zu tolerieren ist. Sie umfasst aber nicht den zu tolerierenden Gegenstand selbst. Immerhin ist Ablehnung ja auch eine Voraussetzung. Und hier kommt der Knackpunkt, den ich zunehmend kritisch betrachte.
Immer mehr geht der Trend dazu, dass man von der Toleranz eine bedingungslose Akzeptanz ableitet und jede Nichtakzeptanz sofort als Nichttoleranz abstempelt. Dieses Prinzip bildet sich vor allem oft in ideologischen Massen, die damit einer Agenda folgen.

Ich möchte dies anhand eines Reizthemas darstellen, an dem dies besonders gut ersichtlich ist: am Islam. Allzu schnell steht im Deutschland 2021 der Vorwurf der Islamophobie und der Intoleranz im Raum, wenn man auch nur eine Kritik am religiösen System des Islams und den gesellschaftlichen Strukturen äußert, die dort vorherrschen, wo der Islam dominierende Religion ist. Gerade für einige Strömungen im linken Spektrum ist es schon ein Reflex, bei Islamkritik sofort auf die Barrikaden zu gehen und lauthals „Intoleranz“ zu krakeelen, wenn man der eigenen Ansicht nicht folgt. Das führt dann schon mal dazu, dass dann auch eine Alice Schwarzer als intolerant bezeichnet und versucht wird, sie an ihrem Rederecht zu hindern, in dem man Veranstaltungen an Universitäten stürmt. Das Thema Cancel Culture möchte ich jetzt an dieser Stelle aber nicht behandeln, da dies eigene Betrachtungen verdient.
Viel mehr ist die Frage relevant, ob man wirklich intolerant ist, wenn man Religionen kritisch angreift. Sind wir intolerant, wenn wir Nietzsche lesen und das Christentum angreifen? Hindern wir Christen an ihrem Glauben, wenn wir den Papst kritisieren und zum Gegenstand von Satire machen? Würde man uns in eine intolerante oder gar in eine undemokratische Ecke drängen, wenn wir sagen, dass wir das Christentum oder die katholische Kirche verachten? Und würde man davon ausgehen, dass man bei solchen Aussagen jeden Christen als Individuum an sich verachten und ihm seine Grundrechte nehmen würde? Wohl eher nicht.
Man muss ich nicht alles mögen
Warum dann müssen ähnliche Aussagen bezogen auf dem Islam kritischer unter die Lupe genommen werden. Sicherlich. Es mag Gruppen aus dem rechtsextremen Spektrum geben, die Islamkritik als Deckmantel für Menschenfeindlichkeit hernehmen, was aber die kritischen Betrachtungen oder auch satirischen Spott nicht die Legitimität verweigert. Und wenn ich sage, dass ich den Islam nicht mag, bin ich dann wirklich ein Menschenfeind? Hier sind wir schließlich beim Kern des Ganzen, wo Toleranz und Akzeptanz vermischt wird.
Wenn ich sage, dass ich den Islam als System ablehne, so heißt das nicht, dass ich Muslimen ihre Grundrechte nehme. Wenn ich sage, dass dem Islam ein patriarchalisches System innewohnt, das von religiösem Chauvinismus geprägt ist, so bezieht sich dies auf das System auf sich, aber ich richte mich nicht gegen das Individuum. Und selbst, wenn sich ein Muslim dadurch angegriffen fühlt. Was unterscheidet diese Situation davon, wenn ich sage, dass die katholische Kirche eine rückwärtsgewandte Institution ist, die den Fortschritt aufhält? Würde man mir unterstellen, ich bezeichne alle Katholiken als Primitive?
Aber auch wenn ich solche Aussagen tätige, so bin ich doch tolerant im Sinne der Duldsamkeit. Durch Worte allein hindere ich niemandem an seiner Glaubensausübung. Ich verletzte keine Grundrechte, wenn ich jetzt nicht gerade persönlich beleidigend werde oder zur Gewalt aufrufe. Aber ich muss das betreffende System, gegen das sich meine Kritik richtet, ja dennoch nicht mögen. Und es kann ja niemand dazu verpflichtet werden.
Die Forderung, geliebt zu werden, ist die größte aller Anmaßungen.

Ich führe hier ein Zitat von Nietzsche an, weil ich finde, dass man es auch auf diesen Sachverhalt anwenden kann. Wenn ich von jemandem Toleranz verlange, obwohl er mich in keiner Handlung einschränkt und nur meine Weltanschauung angreift, so geht es mitnichten darum, Toleranz einzufordern, sondern darum, Akzeptanz zu erzwingen, also Liebe für die eigene Weltanschauung – was dann regelmäßig zu Lasten der Redefreiheit geht. Man verlangt also von anderen, gemocht zu werden. Und wer sich für andere und deren Weltanschauung einsetzt und dafür kämpft, dass dritte Personengruppen „toleriert“ werden sollen, wobei auch hier eher Akzeptanz gemeint ist, der versucht ebenfalls gewissermaßen eine Liebe für seine Idee zu erzwingen und maßt sich unter dem Deckmantel der Akzeptanz und des Respekts an, zu entscheiden, dass seine Befindlichkeit über der von anderen liegt. Aber so läuft die Welt nun einmal nicht, dass es ein Grundrecht auf nicht verletzte Gefühle gibt. Denn dazu führt es dann, wenn der Toleranzbegriff so ausgelegt wird: Gefühle einen Grundrechtsstatus zu verleihen. Aber es gibt kein Grundrecht auf nicht verletzte Gefühle. Darum kann auch eine Mohammed Karikatur etwa keine objektive Beleidigung und kein Anzeichen von Intoleranz sein. Denn die Glaubensfreiheit wird ja dadurch nicht weiter eingeschränkt.
Eine Anmaßung, die sich durch alle Bereiche zieht
Ich habe das Beispiel Islam und Religion genommen, da der Sachverhalt sich hier besonders leicht illustrieren lässt. Gibt es einen sachlichen Grund, warum ich irgendeine Religion mögen muss? Gibt es einen Grund, warum ich deren Dogmen und Gepflogenheiten respektieren muss, wenn diese nur für die Glaubensgemeinschaft gilt? Hier ordne ich mich persönlich nicht ganz im System der Respektstoleranz ein. Natürlich darf es keine autoritären Instanzen mehr geben, die alleine für alle bestimmen, was zu tolerieren ist. Das Grundgesetz gibt hierfür aber einen recht guten Leitfaden. Man muss aber auch nicht allem mit Respekt begegnen, kann aber dennoch die Grundrechte anderer bewahren. Wir reden hier nicht über objektive Maßstäbe, wo Rechte verletzt werden, sondern um Gefühle, die je nach individueller Biografie unterschiedlich auf verschiedene Sachverhalte bezogen ausgeprägt sein können. Welche Gefühle sind nun aber gewichtiger? Einfach zu sagen, dass religiöse Gefühle objektiv höher zu werten sind als die des Sozialdemokraten, der seit 30 Jahren für eine gerechte Gesellschaft kämpft, ist eben eine dieser Anmaßungen, von der ich schreibe. Oder wie sieht es mit dem Künstler aus, dessen Werk zerrissen wird. Darf man ihn nicht kritisieren, weil er sich beleidigt fühlt und weil sein Werk keine Akzeptanz erfährt? Darf ich darauf bestehen, dass ich für meine Geschichten und der hier dargelegten Ausführungen nur positive Resonanzen erhalte? Ich denke nicht. In der letzten Konsequenz gäbe es ja dann auch ein Grundrecht darauf, geliebt zu werden, wenn man für sich beansprucht, dass die eigenen Gefühle nicht verletzt werden dürfen. Und hier käme dann Nietzsches Zitat wieder ins Spiel.
Was sagt Ihr eigentlich dazu? Wird heutzutage viel zu sehr darauf geachtet, dass man niemandem auf die Füße tritt? Und ist es überhaupt realistisch, in einer Gesellschaft zu leben, wo sich jeder akzeptiert und respektiert? Lasst mir gerne eure Meinung da.
Beitragsbild von Mary Bettini Blank auf Pixabay
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